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Bei New Work gibt es keine One-fits-all-Lösung

Wir freuen uns euch heute ein etwas anderes Format zu präsentieren. In unserer ersten Ausgabe von recruitingzirkus Talks haben wir mit New Work Expertin Vanessa Jobst-Jürgens gesprochen. Vanessa ist systemischer Management Coach sowie Unternehmensberaterin für Veränderungsprozesse. Im Rahmen einer eigeninitiierten New Work-Studie hat sie erforscht, was New Work für Unternehmen, Arbeitnehmer und unsere Gesellschaft bedeutet und was Arbeitnehmer in unterschiedlichen Lebensphasen wirklich davon benötigen. 

 

Hallo liebe Vanessa. Schön, dass Du dir die Zeit für uns nimmst. Du bist eine waschechte New Work Expertin.
Wie kamst du zu dem Thema und dem Entschluss, dich intensiver damit zu beschäftigen?

 

Hallo ihr zwei, danke für die Gelegenheit, hier etwas über New Work zu erzählen. Als der Begriff „New Work“ in den letzten Jahren aufkam, merkte ich, dass ich mich eigentlich schon lange damit befasse. Vor „New Work“ war der fachliche Termini dafür aber ganz unsexy „Arbeits- und Organisationspsychologie“. Auf den Begriff „New Work“ bin ich aber auch durch angrenzende bzw. New Work implizierende Bereiche wie „Vereinbarkeit von Familie und Karriere“ und „Diversity“ gestoßen.

 

Wofür steht New Work für dich? Was macht New Work aus? Ist es mehr als nur Homeoffice? ;)

 

Ich halte mich da meist an die Definition, die Fritjof Bergmann vor 40 Jahren kreierte: „New Work ist die Arbeit, die wir wirklich wirklich wollen“. Und das mit allen Konsequenzen. Wenn ich z.B. durch intensive Reflexion spüre (klingt easy, ist aber echt ein langer Weg), ich möchte Floristin werden, dann muss ich in der Konsequenz eine Ausbildung machen, eine Anstellung finden oder mich damit selbstständig machen, das würde bedeuten ich müsste anfangs vielleicht auf Gehalt verzichten, dadurch müsste meine Ansprüche sich anpassen, … and so on.

 

Arbeit soll nicht auslaugend, sondern bereichernd sein und als Energielieferant dienen. Und ja, New Work umfasst mehr als nur Homeoffice. Eigentlich ist New Work eher eine Geisteshaltung, ein humanistisches Menschen- und Weltbild, welches sich dann in verschiedene Bereiche wie Unternehmenskultur, Führung, Prozesse, Kommunikation und viele andere Bereiche als „Maßnahme“ widerspiegelt. But: Mindset first! Homeoffice wird häufig als Paradebeispiel für New Work genutzt. Das liegt sicherlich daran, dass bei der virtuellen Zusammenarbeit nicht nur die Technik sondern auch das Vertrauen und die Wertschätzung für die Mitarbeiter*innen stimmen muss.

 

Erzähl uns doch gern erstmal etwas über dein Projekt: „Make Work great again.“.

 

Der Claim „Make work great again“ ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Ich sage es an dieser Stelle noch einmal, safety first. Mein Projekt umfasst eine ausführliche Studie mit qualitativen und quantitativen Anteilen. Die Daten sollen Aufschluss darüber geben, welche Wünsche verschiedene Generationen und andere Arbeitnehmergruppen in Bezug auf New Work haben. In a nutshell sollen die Fragen beantwortet werden: „Wie viel New Work braucht ein Mensch?“ & „Welche Gemeinsamkeiten in Bezug auf diesen New Work Need haben die Generationen Z, Y, X und Babyboomer plus Eltern und Pflegend Beschäftigte?“  Diese Gemeinsamkeiten sind dann als der kleinste gemeinsame Nenner zu sehen, aus dem man richtig gute und erfolgsversprechende New Work-Maßnahmen ableiten kann.

 

Was würdest du sagen, sind die Key-take-aways Deiner Studie?

  1. Hard Fact: Gehalt über alles. Das Bedürfnis nach einem fairen und ausreichenden Gehalt ist auch in New Work-Zeiten, in denen alles möglich erscheint, unumstößlich. Die Studiendaten der 1200 Proband*innen wurden NICHT in der aktuellen Corona-Zeit erfasst. So wären dieses Ergebnis bestimmt noch eindeutiger.
  2. Soft Fact: „Kommunikation“ und „Zeitliche Flexibilität“ follow money. Über alle Generationen hinweg wurden diese beiden Merkmale nach ganz vorne hinter „Gehalt“ gerankt. Mit Kommunikation ist eine offene und wertschätzende Art der verbalen Interaktion gemeint. Zeitliche Flexibilität beschreibt flexible Modelle wie Vertrauensarbeitszeit, ergebnisorientiertes Arbeiten an Stelle von festen Stunden im Vertrag und auch Teilzeit- oder Job Sharing-Modelle.
  3. Soft Fact: Die jüngste Generation im Arbeitsleben ist auch die rebellischste. Der Generation Z (nach 2000 geboren) steht für das Thema Gleichberechtigung ein. Finde ich sehr charmant!

 

Hast du Tipps für Unternehmen? Womit fängt man an, wenn man New Work in die Unternehmenskultur integrieren möchte?

Was sind die größten Herausforderungen?

 

Am besten macht man eine Bestandsaufnahme der Bedürfnisse, die im Unternehmen - oder besser gesagt unter den Mitarbeitenden - herrschen. Die größten Gemeinsamkeiten halten das größte Potenzial für gute Maßnahmen, die auch akzeptiert werden, bereit. Bei New Work gibt es keine One-fits-all-Lösung – auch wenn das manchmal suggeriert wird. Generationen hin oder her – eine Unternehmenskultur ist sehr individuell und ich denke hier können Generationsmerkmale durch dynamische Gruppenprozesse ausgehebelt werden. Das ist auch gleichzeitig die größte Herausforderung. Nach der Ergebnisanalyse muss man als Unternehmensleitung manchmal den Finger in die Wunde legen. Das gefällt per se erstmal nicht jedem und es kann zu Widerständen oder sogar zum Boykott kommen.

 

Wie kann die Implementierung von New Work in Unternehmen gelingen, was müssen Unternehmen dabei beachten?

 

Mindset first. Das Säen von New Work in einem Unternehmen kann nur gelingen, wenn (fast) jedem klar ist, warum Veränderungen stattfinden sollen und welchen Mehrwert diese für jeden einzelnen bringen. New Work an sich ist eine rein humanistische Art, Arbeit zu betrachten. Das heißt, der Mensch steht im Fokus. New Work-Maßnahmen brauchen unbedingt einen wohlwollenden Impuls. Der Spagat, der entsteht, ist diese Maßnahmen in einem vorgegebenen Budget zu implementieren. Und da komme ich wieder ins Spiel: der kleinste gemeinsame Nenner aller Bedürfnisse, die befriedigt werden können, bietet das größte Potenzial etwas bewegen zu können.

 

Wie wichtig ist New Work für die Arbeitgebermarke? Inwiefern sollte man New Work im Employer Branding thematisieren und wie? 

 

Mein Eindruck ist, dass der Begriff „New Work“ durch verschiedene Umstände schon etwas „abgegriffen“ klingt. Als Unternehmen würde ich in der Kommunikation nach außen mehr auf die konkreten Benefits eingehen, die es vielleicht als New Work für sich verbucht hat, diese jedoch nicht konkret als „New Work“ deklarieren. Viele Unternehmen nutzen New Work als Feigenblatt und hoffen durch plakative Maßnahmen,
wie z. B. den typischen Obstkorb oder „flache Hierarchien“ das ein oder andere Talent im „War for Talent“ zu ergattern.

 

Einige Menschen mögen keine Veränderungen. Wie bewältigt man diesen Spagat, wenn einige Arbeitnehmer mehr New Work fordern und andere sich dagegen wehren?

 

Kommunikation, Offenheit und Transparenz. Keine leeren Floskeln verbreiten, sondern Messages und Stories, die sich auf die verschiedenen Bedürfnisse der Mitarbeitenden bezieht. Mitarbeiter*innen wollen gehört werden.

 

Darüber hinaus ist New Work am Ende ja das, was jeder für sich draus macht. Wenn jeder in seinem Beruf genau das macht, was sie oder er wirklich wirklich will, ist es egal, welche Veränderung dafür nötig war oder nicht. Homeoffice, um bei dem Beispiel zu bleiben, ist nicht für jeden etwas. Dennoch kann ein Unternehmen z.B. durch die Einführung von „Activity Based Working“-Elemente dafür sorgen, dass auch abseits eines lauten Großraumbüros die Möglichkeit besteht, konzentriert und in Stille zu arbeiten. Hier können Unternehmen einen Rahmen geben, der von den Mitarbeiter*inne nach ihren Bedürfnissen genutzt werden kann. Hier sind die Mitarbeiter*innen auch in der Verantwortung für sich selbst. Auch das ist New Work.

 

Was kann ich als Arbeitnehmer tun, um meine Interpretation von New Work in meinem Arbeitsalltag zu integrieren? Also quasi meinen eigenen New Work Begriff ins Unternehmen einbringen?

 

Ohne Vision und formulierten Purpose geht hierbei nichts. Diesen findet man vor allem in der Interaktion mit allen Beteiligten eines Unternehmens. Eine Interaktion kann z.B. auch ein wissenschaftlicheres Vorgehen im Rahmen von Gesprächen (Interviews) oder Gruppendiskussionen und auch anonymen Befragungen sein. Als Arbeitnehmer muss ich mich fragen: Was vereint uns? Was ist das wichtigste und wertvollste, das wir alle in diesem Unternehmen gemeinsam haben? Wo wollen wir gemeinsam hin? Und Wofür machen wir das hier every f***ing day? Bei der Beantwortung dieser Fragen kommen richtig tolle Statements und Ideen zusammen, die man hervorragend zur Wortkreation nutzen kann.

 

Was ist eine Anspruchsgruppe und welche Anspruchsgruppen werden von Unternehmen häufig beim Thema New Work übersehen?

 

In meiner Studie habe ich die Anspruchsgruppen in Generationen unterteilt. So konnte ich erstmal keine Gruppe vergessen. Explizit habe ich hier aber noch die Gruppen „Eltern“ und „Pflegend Beschäftigte“ untersucht. Letztere wird aktuell noch total vernachlässigt. Schaut man sich die Folgen des demografischen Wandels in Bezug auf das Thema „Pflege“ an, wird einem Angst und Bange. Die Anzahl der zu pflegenden Personen im Vergleich zu jetzt (2020) wird von 5,9 Millionen Personen auf 9,9 Millionen Personen im Jahr 2050 steigen. Dies bedeutet einen Anstieg von fast 60% derjenigen Personen, die auf Pflegepersonal angewiesen sind. Die Anzahl an kompetentem Pflegepersonal wird aber nicht proportional zu der Anzahl der Pflegebedürftigen steigen. Es entstehen also Versorgungslücken, die vor allem durch Angehörige und/oder das enge Umfeld gefüllt werden müssen. Diesen Fakt haben die meisten Unternehmen noch nicht auf’m Schirm. Pflegend Beschäftigte werden in Zukunft viel Flexibilität benötigen, um alles unter einen Hut zu bekommen. Darauf müssen sich Unternehmen einstellen. But they don’t do that.

 

Was meinst du, wie und mit welcher Geschwindigkeit wird sich New Work weiterentwickeln? Wird es irgendwann ein starkes Gefälle zwischen Unternehmen mit New- und Old Work geben?

 

Durch die aktuell anhaltende Corona-Krise wird in Bezug auf Digitalisierung aber auch Vereinbarkeit und Flexibilisierung von Arbeitsweisen und -zeiten einen Boost in vielen Unternehmen geben. Viele Arbeitgeber, die sich bis hierher gegen virtuelle Zusammenarbeit oder flexible Arbeitszeiten gesträubt haben, merken jetzt: es geht doch! Der Begriff New Work wird vielleicht versieden, die Intentionen aber bleiben. Da bin ich sehr zuversichtlich!

 

Ein starkes Gefälle wird es erst einmal geben, wenn die Automatisierung von wiederkehrenden (auch physischen) Prozessen noch nicht so weit voran geschritten ist, wie das Wachstum von gesäten New Work-Initiativen in Berufen, die vor allem durch Wissensarbeit geprägt sind.
Weniger kryptisch  gesagt: Arbeitnehmer in „Bürojobs“ haben deutlich früher etwas von New Work als diejenigen, die im Lager oder bei der Müllentsorgung arbeiten. Der nächste Schritt wäre dann die Automatisierung so einzubinden, dass auch diese Menschen merkbare Vorteile durch diesen Paradigmenwechsel erhalten.

 

Und jetzt schreibst du ein Buch? Erzähl uns gern mehr darüber.

 

Die Studie, die ich durchgeführt habe, verschriftliche ich in einem Management-Fachbuch, welches Ende des Jahres im Springer Gabler-Verlag veröffentlicht wird. Darin stelle ich die Ergebnisse der Studie ganz genau vor und bringe diese zusammen mit praktischen Impulsen und theoretischen Erkenntnissen.

 

Wenn du ein Zirkusartist wärst, was wärst du dann und warum?

… vermutlich wäre ich die Zirkusdirektorin, die charmant durch den Abend führt und alle Fäden in der Hand hält.

 

Zuckerwatte oder Popcorn?

Popcorn. Salzig.

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